Meldung
18.08.2015

Smart Data in der Gesundheitsbranche

Interview mit Prof. Dr. Volker Tresp vom Projekt Klinische Datenintelligenz KDI

Tag für Tag entstehen in Kliniken und Krankenhäusern riesige Mengen an Daten, die in verschiedensten Datenbanken gespeichert werden. Längst ist klar: eine systematische Vernetzung und Verwertung der Informationen könnte ein enormes Potenzial bergen. Mithilfe der intelligenten Auswertung der Daten sollen in Zukunft beispielsweise frühe Diagnosen ermöglicht und schwere Krankheiten vermieden bzw. zielgerichteter therapiert werden. Wir haben mit Prof. Dr. Volker Tresp vom Konsortialführer Siemens über das Smart-Data-Projekt Klinische Datenintelligenz KDI und die Herausforderungen gesprochen, die große Datenmengen für den medizinischen Sektor mit sich bringen.

Portrait von Prof. Dr. Volker Tresp vom Projekt Klinische Datenintelligenz KDI
Prof. Dr. Volker Tresp vom Projekt Klinische Datenintelligenz KDI
Prof. Dr. Volker Tresp vom Projekt Klinische Datenintelligenz KDI

Herr Tresp, die Gesundheitsbranche gilt in puncto Smart Data noch als rückständig – was muss hier in den kommenden Jahren passieren?

Rückständig ist hier sicherlich der falsche Begriff, denn die intelligente Nutzung großer Datenmengen wird ja in den meisten Anwendungsfeldern gerade überhaupt erst möglich gemacht. Die klinische Datenauswertung blickt bereits auf eine lange Tradition zurück, denn die analytische Auswertung von Daten in klinischen Studien und in der Epidemiologie ist seit jeher ein wichtiger Bestandteil der Medizin. Neu sind die Datenmengen und Datendimensionen und die Perspektive sinnvollerAnalysen von Daten aus dem klinischen Alltag, auch über Klinikgrenzen hinweg.

Der wichtigste Treiber ist hier die fortschreitende Digitalisierung, durch die ganz neue Informationsarten überhaupt erst entstehen. Zum Beispiel nehmen Smartphones heute gesundheitsbezogene Daten auf, was die Gesamtmenge an nutzbaren Daten exorbitant ansteigen lässt. In den medizinischen Einrichtungen erleben wir derzeit eine regelrechte Datenexplosion. Die schiere Menge an nutzbaren Daten führt mittelfristig zu einer Überforderung der behandelnden Ärzte und Pfleger, was der gesamten Gesundheitsbranche eine Antwort auf die Frage abverlangt, wie mit der entstehenden Datenflut künftig umgegangen wird.

Gleichzeitig wirkt sich der demografische Wandel aus: Menschen werden älter und leiden daher bedauerlicherweise häufiger an Krankheiten. Sinnvolle Datenauswertungen können helfen, die drohende Kostenexplosion zu kontrollieren.


Wie lassen sich gesammelte Daten in der Gesundheitsbranche sinnvoll nutzen?

Um das volle Potenzial zu realisieren und Nachhaltigkeit zu erreichen, muss man über Studien hinauskommen und es muss Perspektiven geben – nicht nur für Forschungsinstitute, sondern auch für Start-ups, KMUs und allgemein für kreative Köpfe in allen Bereichen. Das bedeutet, dass Smart-Data-Lösungen bei den Kostenträgern abrechenbar sein müssen. Der Weg dahin führt über Lösungen, die eindeutig und nachweisbar die Versorgung verbessern und Kosten einsparen. Ein Beispiel ist die Rheumatherapie, wo je nach Anwendungsfall etwa 50 bis 100 Medikamente zur Verfügung stehen. Oft probiert der behandelnde Arzt so lange aus, bis er das richtige Medikament gefunden hat. Wenn dieser Vorgang durch die Auswertung großer fallbezogener Datenmengen beschleunigt werden kann, ist ein klarer Nutzen gegeben: Der Patient wird schneller gesund und die Behandlungskosten sinken. Ähnlich ist die Situation bei der Behandlung von Patienten nach einer Nierentransplantation, wo es das Ziel ist, die für den Patienten besten Medikamente zu finden und zu dosieren, sodass eine Organabstoßung vermieden, aber gleichzeitig Nebenwirkungen minimiert werden. Diesen Anwendungsfall behandeln wir in unserem Projekt: Wir benötigen Daten von vielen Patienten, um die Zusammenhänge zu erkennen, und wir benötigen detailliertes Wissen über den zu behandelnden Patienten, um das richtige Medikament mit der richtigen Dosierung zu verschreiben.


Welche Vorteile birgt die Datensammlung aus verschiedenen Quellen für den Patienten in Zukunft?

Wir unterscheiden hier vier Bereiche, in denen deutliche Vorteile erzielt werden können. Zum einen in der Prävention: Jeder Arzt wird Ihnen sagen, dass eine gesunde Lebensweise entscheidend ist, Krankheiten zu vermeiden. Hier können Apps den Menschen dabei unterstützen, auf einen gesunden Lebensstil zu achten, und vorwarnen, wenn es in die falsche Richtung läuft. Der Effekt ist gerade bei gesamtgesellschaftlicher Betrachtung nicht zu unterschätzen. Zweitens: das Screening. Durch die Datenaufnahme können zum Beispiel in der Mammographie Krankheitsbilder noch vor Auftreten der Symptome erkannt werden. Des Weiteren kann Smart Data bei der Behandlung eingesetzt werden, wenn es also darum geht, die Gesundheit wiederherzustellen – und natürlich bei der Nachsorge, um dafür zu sorgen, dass Krankheiten nicht wiederkehren.


Ziel des Projekts KDI ist ein Patientendaten-Modell, das aus Informationen unterschiedlichster Quellen besteht. Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Im Projekt KDI wollen wir die Auswertung umfangreicher und komplexer Patientendaten automatisieren und dadurch drastisch vereinfachen. Dazu werden sämtliche verfügbaren Patientendaten aus unterschiedlichen Quellen zu einem Patientendaten-Modell zusammengeführt. Das betrifft zum einen die genetischen Daten und zum anderen die Patienteninformationen. Das Patientendaten-Modell wird ergänzt durch die Modellierung der klinischen Entscheidungsprozesse. Durch die Integration der Daten entsteht die Grundlage für weitere innovative Dienste zur Versorgung von Patienten und für die medizinische Forschung. Die Hauptaufgabe besteht darin, die heterogenen Datensätze in Datenbanken zusammenzutragen und nutzbar zu machen: Wie bringe ich beispielsweise Daten aus der Krankenakte mit den vom Smartphone gesammelten Informationen für die Auswertung zusammen? Die Lösung lässt sich auf jedes Krankheitsbild anwenden und wird bei KDI exemplarisch an zwei Krankheiten demonstriert: Brustkrebs und Nierentransplantation. Mithilfe einer App-Infrastruktur sollen sich weitere Anbieter – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen – mit ihren Lösungen einbringen können.